Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab

 

 

 

  Das Buch ist Papier gewordenes ZDF: Zahlen, Daten, Fakten. Alles sauber recherchiert und sorgfältig analysiert. Und Intelligenz ist zu großen Teilen vererbbar. Aber langsam...

Beim ersten Lockdown Ende Frühjahr 2020 rasierte ich mir eine Glatze, weil die Friseure lange nicht öffneten. Mit Hemd und Glatze wurde ich für einen Nazi gehalten und symbolisch angespuckt (man meinte mich und spuckte daneben). Das Buch hatte ich nicht dabei. Aber noch langsamer...

Es war Spätsommer 2017, Beginn des Schuljahrs, was mich ja nicht einmal mehr peripher tangiert. Ich war arbeitslos, suchte mir Gelegenheitsjobs, auch als Proband für Versuche an lebenden Menschen mit einem Oxytocin-Nasenspray. Als Berufsqualifikation war eine Autismus-Diagnose erforderlich, und die hatte ich seit Ende 2016. Kurz und gut: ich hatte wenig Kohle.

Nach einem Skandal-Artikel und dem folgenden Shitstorm doublete Thilo Sarrazin klugerweise down und weitete diesen zu einem Buch aus, das zu einem der erfolgreichsten Sachbücher in der Geschichte der BRD wurde. Nur hatte mir dieses Buch lange nichts zu sagen: die Fakten kannte ich, die Zahlen auch, die Analysen dachte ich mir selber. Doch 2017 hatte ich doch noch Lust, es zu lesen. Im Stadtzentrum einer deutschen Großstadt sprach mich eine geflüchtete Frau aus Syrien an, sie war jung und hatte nach eigener Auskunft vier Kinder. Sie brauchte Schulzeug und hatte kein Geld für Babysachen für das kleinste Kind. Ich ging mit ihr einkaufen, es war Rossmann oder DM. Sie legte aufs Band, ich bezahlte. Ihre Einkäufe kosteten um die 70 Euro, weitere 20 Euro gab ich ihr so. Dann setzte ich mich an den Tisch vor einem Eiscafé in der Fussgängerzone und las das Buch.

Sie hat dich nur verarscht, sie hatte gar keine Kinder! Und überhaupt, wie kann es sein, dass du keine Kohle hattest, wenn du sagst, dass du im Eiscafé Eis gegessen hast!? Du weißt nicht, was Armut ist! Doch, sonst hätte ich der Frau wahrscheinlich nicht geholfen. Ich habe keine kogntivie Empathie, dafür eine strak entwickelte affektive Empathie. Wenn es einem schlechtgeht, und ich die Situation kenne, fühle ich stark mit. Am Gesichtsausdruck kann ich jedoch schwer erkennen, ob die Person traurig ist, Not leidet, oder mich nur verarscht.

Und so las ich weiter über die aussterbende autochthone Bevölkerung und die sich vermehrende muslimische Bevölkerung Deutschlands, darüber, dass die Deutschen bald eine Minderheit in ihrem eigenen Land sein werden, und worüber Sarrazin nicht noch weiter in seinen zweijährlich erscheinenden Bestsellern "schwadroniert".

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