Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft
De Sade ist im Vergleich zu Kant noch human; auch bei Kant geht es grundsätzlich um die Qual, aber im Gegensatz zu de Sade beraubt Kant die Qual jeder Humanität, indem der ihr den Anderen entzieht: du sollst dich selbst quälen. Das ist sein wahres moralisches Imperativ. Kant ist der Moralphilosoph der protestantischen Askese, der Autoannihilation des leeren cartesianischen Subjekts.
Die moralische Selbstvernichtung darf aber keine Kurzschlüsse zulassen: der Suizid ist nicht erlaubt. Wer sich vorzeitig erlöst, verschwendet wertvolle Qualen. Die Untersuchung der praktischen, handelnden Vernunft, des arbeitenden, nicht rechnenden Algorithmus des abstrakten Subjekts, zeigt das schreckliche Faktum der Vernunft auf: du kannst anders handeln als du willst. Und deshalb kannst du auch etwas anderes wollen als das, was du eigentlich willst.
Edel ist das Beispiel mit der Standhaftigkeit unter Folter: wer unter Qualen kein falsches Zeugnis redet, ist zu bewundern. Aber die Situation mit der Folter ist künstlich konstruiert, um, bereichert mit der Figur des Anderen, des Folternden, den Geprüften mit Anerkennung zu locken. Im realen Leben gibt es diese Anerkennung nicht. Du handelst heldenhaft und bist nur allein dabei Zeuge.
Das Beispiel mit der Unzucht und dem Galgen fand ich immer sympathisch aufgrund meiner Verachtung der nuttigen Promiskuität in der gegenwärtigen ultradekadenten Gesellschaft, aber an sich ist es nicht schlüssig. Wenn mich nur der Galgen vom Objekt meiner Begierde abhalten soll, und ich sonst keine moralischen Hemmungen habe, dann ficke und vergewaltige ich das Objekt meiner Lust, und gehe danach gern in den Tod. Und wenn die Lust dadurch noch gemehrt wird, dass die Frau, die meinen ästhetischen Ansprüchen genügt (!), mich aus eigener Lust verführt, dann nehme ich diesen hedonistischen Lebenshöhepunkt doch gern mit, und wünsche mir sogar unmittelbar danach den Tod: was soll denn dann noch kommen?
Und der Ochse, dem ein straffer Arsch und ein paar große Titten schon genug sind, wird genau so handeln, wenn die Lust nur groß genug ist, auf den Galgen zu pfeifen. Was soll das also mit einer Moralität, die selbst die Lust daran, sich als moralisch guter Mensch zu fühlen, verdammt, die Liebe und Wohlwollen ausschließt, und einer Handlung nur dann einen moralischen Wert zugesteht, wenn das moralische Subjekt seine menschliche Natur verleugnet und wie eine Maschine handelt?
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