William Strauss, Neil Howe: The Fourth Turning

 

 

 

  Mitte der 1990-er segnete der US-amerikanische Philosoph Ken Wilber seine eigene Generation, die Boomer, mit der Diagnose Boomeritis, einer kollektiven narzisstischen Störung. Nicht nur ihm fiel auf, dass es wohl keine derart narzisstische Generation vorher gegeben hat. Das legendäre Buch aus dem Jahr 1996 wurde nun ins Deutsche übersetzt. Das Lektorat ist furchtbar: neben zahlreichen Rechtschreib- und Tippfehlern treten auch Verständnisfehler gehäuft auf. Hat es ein fauler Millenial übersetzt? Oder ein linksversiffter Boomer, widerwillig?

Es geht um die kurzen sozialen Phasen einer Gesellschaft, genauer, um die menschenlebenslangen Zyklen in der angloamerikanischen Zivilisation der Neuzeit. Geschichte wiederholt sich: im Frühling werden die Institutionen errichtet, im Sommer herausgefordert, im Herbst verfallen sie, und im Winter wird gekämpft und zerstört. Der letzte Winter war die Krise von 1929 bis 1945: die Große Depression und der Zweite Weltkrieg. Die großartige GI Generation begründete mit dem Sieg die globale Hegemonie der USA, die Silent Generation machte den Weg frei für die Bewusstseinsrevolution der 1960-er und 70-er, in der die Boomer erwachsen wurden, welche von da an so handelten, als gäbe es nur ihre Generation, und als stünde und fiele die Welt, nein, das Universum, mit ihnen.

Die Autoren gehen weit in die Geschichte zurück, um ihre Hypothese gründlich zu belegen. Es passt. Eine Störung gibt es im amerikanischen Bürgerkrieg: da kam der Konflikt zu früh, eine archetypische Generation fehlte. Es ist nämlich so: Helden, Künstler, Propheten und Nomaden wechseln sich ab. Die GIs waren Helden, die Stillen waren/sind Künstler, die Boomer sind Propheten, die GenX Nomaden, und die Millenials Helden !?

Da scheint es eine zweite Störung zu geben. Eine Vorhersage ist nicht so einfach wie eine hinterherige Interpretation. Außerdem wurde das Buch ja seit 1997 in den USA eifrig gelesen und diskutiert. Hat das Buch selbst dazu beigetragen, die Vorhersagen im Buch zu sabotieren? Die Millenials sollten die Helden sein, die die gespaltene Gesellschaft der USA aus der Krise führen, die die Autoren um 2005 ausbrechen lassen. Ob die vierte Wende The Fourth Turning – mit dem 11.9.2001 oder der Finanzkrise von 2007 anfing, sie wurde schonmal korrekt vorhergesagt. Doch sie entwickelte sich wohl anders als erwartet: anstatt eine Zeit der Auflösung der sich verschärfenden sozialen Konflikte zu sein, ist sie eine Zeit sich weiter verschärfender Konflikte, eine um eine Generation verlängerte Zeit der Auflösung.

Die Millenials scheinen eher Künstler zu sein als Helden nach den vier Archetypen, die die Autoren ins Spiel bringen. Die Generation, die auf die Millenials folgt, sind dann nochmal Künstler. Oder Propheten? However, die Präsidentschaftswahl 2024 scheint ein möglicher Höhepunkt der Krise zu sein, der das demokratische System der USA in Frage stellen wird. Die Degeneration der Gesellschaft kann nicht ewig weitergehen. Kommt der Faschismus des 21. Jahrhunderts, made in USA, oder wird auf die Neoliberale Revolution von 1979 zwei Generationen später ein amerikanischer Sozialismus folgen? Oder zerfallen die USA in einen linksliberalen und einen neokonservativen Teil?

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