Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti

 

 

 

 

  Im Deutschunterricht, da mussten wir die Figuren darstellen: nicht spielen, sondern erst einmal darstellen. Ich stellte den Prinzen dar. So arrogant wie ich da saß, wurde ich für meine Darstellung sehr gelobt. Dabei hatte ich gar nicht geschauspielert. Ich spiele etwas vor, wenn ich nicht arrogant bin.

Wenn heute eine Emilia Hochtürk ihren Vater bittet, sie zu erdolchen, weil sie die Ehre der Familie bzw. ihre eigene verletzt hat, so schreit der fremdenfeindliche Volksmund: "Ehrenmord!" So viel zü ünserer töleranten Mültikültür. Natürlich wird dem Vater nicht geglaubt, wenn er behauptet, die Tochter habe selbst um den Ehrenmord gebeten, doch in Lessings Drama passiert genau das.

Das Bürgertum war im ausgehenden 18. Jahrhundert eine aufstrebende Klasse, die Werte hatte. Werte sind nur etwas wert, wenn du bereit bist, dafür zu töten und zu sterben. Ansonsten hast du keine Werte und betreibst nur virtue signalling. Der Adel war dekadent, d. h. er hatte keine Werte. Aber er war halt an der Macht. Und so konnte sich das Bürgertum nur behaupten, indem es konsequent seine Werte lebte.

Emilia hatte nicht einmal Sex mit dem Prinzen, aber die Leute hätten denken können, dass sie Sex mit dem Prinzen eventuell gehabt haben könnte. Und das befleckt schon die Ehre einer reinen jungen Frau. Ehre wird mit Blut wiederhergestellt, und wenn nicht mit dem Blut des Prinzen (die Folge wäre die Auslöschung ihrer Familie), dann mit ihrem eigenen. Eine Emilia Galotti löst bei Menschen von Wert Bewunderung aus, selbstverständlich auch im Jahr 2022.

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