Julius Evola: Metaphysik des Sexus
Dass die Sexualität die weltimmanente Transzendenz alles Lebendigen ist, schrieb ich 2013, ohne Evolas Werk zu kennen. Dies wird im Standardwerk des Italieners zu meiner Genugtuung bestätigt. Julius Evola (geboren 1898, das Buch 1958 veröffentlich), einer der wichtigsten Kulturphilosophen des 20. Jahrhunderts, bezieht sich immer wieder positiv auf das junge österreichische Genie Otto Weininger (geboren 1880, "Geschlecht und Charakter" 1903 veröffentlicht). Evolas Alter macht den wesentlichen Unterschied aus: Weiningers Betrachtung der Sexualität ist theoretisch-abstrakt, Evola schöpft aus der ganzen Kulturgeschichte der Menschheit. Dem alten Griechenland und dem klassischen Indien fällt die Schlüsselrolle zu.
Gegen die moderne reduktionistische Auffassung der Sexualität als bloß tierischer Triebhaftigkeit mit biologischem Zweck (Fortpflanzung) zeigt Evola die Beziehung der Geschlechter in einem ontologisch-theologischen Zusammenhang. Das Männliche und das Weibliche sind göttliche Potenzen, keine biologischen Bestimmungen. Der Sex kann auf präpersonaler (tierischer, Zweck: Fortpflanzung), personaler (erotischer, Zweck: Lust) und transpersonaler Ebene stattfinden. Die Letztere ist entscheidend, hier wird der einzelne Mann und die einzelne Frau transzendiert, und das Individuum findet den Eingang in die Welt des metaphysisch Absoluten.
Die Dichotomie von Mutter und Dirne lässt Evola gelten, bemerkt aber,
dass der abstrakte Sexualtheoretiker Weininger nicht die Tiefe des
Begriffs der Jungfrau erfasst hat. Mit 60 hätte Weininger "Geschlecht
und Charakter" wohl auch anders geschrieben. Dass es die Jungfrau
angeblich nicht gibt, wiederlegt Evola: die Dirne ist nämlich nur eine
der vielen Erscheinungsformen der Jungfrau. Die Jungfrau ist nicht die
sexlose Frau (das wäre eine contradictio in adiecto), sondern die
Frau, deren Sexualität nicht die Mutterschaft zum Ziel hat. Das bisher
Gesagte genügt nicht einmal für einen kurz gefassten Teaser; eine
Buchrezension wird in einer anderen, systematischen Form geschrieben
werden müssen.
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