David Benatar: Better Never to Have Been
Better Never to Have Been: The Harm of Coming Into Existence. Das ist das philosophische Werk des 21. Jahrhunderts, dessen große Erzählung die Übernutzung der Umwelt, der sogenannte Klimawandel (eine Untertreibung für die ökologische Katastrophe des Massenaussterbens von Arten, wie es das zuletzt vor 65 Millionen Jahren gab) und die Abschaffung des Menschen durch Technologie sein wird.
Benatars Bibel des Antinatalismus ist das philosophische Buch zum Anthropozän, ein klares argumentatives Werk, das Ulrich Horstmanns fulminantes "Untier" dadurch in den Schatten stellt, dass es hier die Vernunft selbst ist, und nicht das (Mit-)Gefühl, die sich für das notwendige Ende der Menschheit ausspricht.
Der Verstand kommt zum Antinatalismus durch die folgene Asymmetrie: Das
Vorhandensein von Glück ist gut, das Nichtvorhandensein von Leid ist
ebenfalls gut (utilitaristisch gesehen). Die Existenz von Leid ist
schlecht, die Nichtexistenz von Glück ist nicht schlecht, weil in diesem
Fall derjenige, der ein mögliches glückliches Leben nicht lebt, nicht
existiert. Wer existiert, erfährt Glück oder Leid, und Leid überwiegt.
Wer nicht existiert, hat es gut, weil er nicht leidet, und ist
indifferent gegenüber nicht erfahrenem Glück. Wer existiert, kommt
bestenfalls auf die Schwarze Null; wer nicht existiert, ist hedonisch im
Plus (er wird niemals leiden, was gut ist). Der hypothetische Imperativ
des Verstandes lautet: Wer Glück vermehren und Leid vermindern will,
darf keine Kinder in die Welt setzen.
Die Vernunft, die die Selbstzweckformel des kategorischen Imperativs
gebietet, kann sich noch kürzer fassen: Kein Mensch kann um seiner
selbst willen geboren werden, da er vorher nicht existiert hat.
Kinderzeugung ist stets ein unmoralischer, egoistischer Akt, der gegen
den KI verstößt.
Da Kant der hellste Kopf der Philosophiegeschichte ist, scheint es mir angebracht, Benatars Argumentation für den Antinatalismus an Kants Philosophie zu prüfen, und er besteht diese Prüfung. Ja, Kant spricht sich in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten gegen den Suizid aus, da der schon lebende Unglückliche nicht wollen kann, dass die Menschheit sich selbst vernichtet, nur weil einzelne Individuen in schweren Lebenslagen den Freitod wählen. Aber die Zeugung ist genauso unmöglich zu rechtfertigen: verstieß der Selbstmord gegen die Form des kategorischen Imperativs (die Maxime des Willens muss zugleich allgemeines Gesetz werden können), verstößt die Zeugung gegen den Inhalt des KI, die Selbstzweckformel.
Bei Kant müssen wir nicht stehen bleiben. Mit Schopenhauer ist
festzustellen, dass der Intellekt, der mit logischer Notwendigkeit zum
Antinatalismus kommt, lebensfeindlich ist. Rational ist, das Nichts zu
wollen, nicht das Sein. Aber der Intellekt ist nur Erscheinung, und der
Wille das Ding an sich. Der Wille ist nicht rational; der Wille zum
Leben hält sich an kein Gesetz des Verstandes und keine Regel der
Vernunft. Rational ist Benatars Argumentation einleuchtend, nur
spitzfindige Sophisten würden gegen den zwingend geführten Beweis der
Richtigkeit des Antinatalismus etwas einwenden. Aber wie können wir
nicht leben wollen?
Der Wille ist nach Schopenhauer nicht individuiert: derselbe Wille fürchtet sich vor dem Tod und drängt zur Zeugung neuen Lebens. Doch damit sind wir als moralische Subjekte nicht entschuldigt. Wir können uns dem blinden Willen verweigern und auf Verstand und Vernunft hören. Und die sagen: Du hoffst vergeblich! Es ist angeboren, das Beste von der Zukunft zu erwarten, doch die Hoffnungen werden sich nicht erfüllen. Du überschätzt die tatsächliche Qualität deines Lebens! Du bist viel unglücklicher als du denkst; du fühlst dich glücklicher, als du tatsächlich bist, weil du in deinen gegenwärtigen Zustand das für die Zukunft erhoffte Glück schon mit einkalkulierst. Als die größte Lebenslüge erweist sich das Leben selbst. Bist du zu dumm, zu vernebelt durch Begierden, zu hoffnungstrunken, um deinem in Wirklichkeit hundsmiserablen Leben ein Ende zu setzen, so mute das Elend der Existenz wenigstens keinem weiteren Menschen zu!
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