Brian Greene: Die verborgene Wirklichkeit

 

 

 

 

  Im 2012 erschienenen Buch "Die verborgene Wirklichkeit: Paralleluniversen und die Gesetze des Kosmos" entwickelt der theoretische Physiker und Stringtheoretiker Brian Greene verschiedene Versionen des Multiversums. Die einfachste davon geht einfach davon aus, dass in einem endlichen Universum die Anzahl der möglichen Teilchenkombinationen endlich ist, durch die fortwährende Inflation des Inflatonfeldes seit dem Urknall aber täglich unzählige neue Universen entstehen. Im Urknall-Multiversum wiederholt sich jedes Universum zwangsläufig mehrfach, bis ins kleinste Detail. Unzählige Universen weichen vom unseren nur in allerkleinsten Details ab. Z. B. ist in dieser Buchbesprechung der Tippfehler an einer anderen Stelle. Oder der Sieger der US-Präsidentschaftswahl 2000 heißt nicht nur legitimerweise, sondern auch tatsächlich Al Gore.

Spannender ist das Quanten-Multiversum, weil es offenbar eine mathematische Zwangsläufigkeit darstellt, die aus der Quantentheorie hervorgeht. Die Kopenhagener Deutung mit dem Kollaps der Wellenfunktion im Beobachtungsfall ist mathematisch unvollständig. Hugh Everetts Viele-Welten-Interpretation von 1956 ist dagegen mathematisch haltbar. Warum ist das wichtig? Weil die Quantenphysik der erfolgreichste Teil der theoretischen Physik ist, vielleich auch der gesamten modernen Wissenschaft. Keine wissenschaftliche Theorie trifft so exakte und relevante Vorhersagen wie die Quantentheorie.

Wenn aus den mathematischen Konsequenzen der Quantenphysik nun folgt, dass wir in einem Multiversum leben, in dem jede Veränderung des physikalischen status quo auf Quantenebene die Entstehung eines neuen Universums bedeutet, dann folgt daraus, dass alles, was theoretisch passieren kann, in einem Paralleluniversum gerade passiert oder schon passiert ist (wenn wir mit Einstein die Zeit raumartig betrachten; es kann ja auch sein, dass auf der Erde im Paralleluniversum Nr. 831036496248406543439 alles bis ins Jahr 3022 so bereits passiert ist, wie es in unserem Universum noch passieren wird, und erst am 3. Februar dieses Jahres um 5:56 morgens ein anderer physikalischer Weltgeschichtspfad erschaffen wird).

Was bedeutet es für das Bewusstsein, dass alles, was möglich ist, deshalb auch schon wirklich ist? Wer ist mein anderes Ich in den unendlich oder an Unendlich grenzend vielen Paralleluniversen? Kann ich das Leben meiner anderen Iche beeinflussen, indem ich, von der Quantentheorie des Multiversums ausgehend, bestimmte Entscheidungen treffe? Wenn die Universen niemals miteinander in Kontakt kommen, ist der mathematische Beweis, dass es "mich" unendliche Male woanders gibt, mehr als bloße Gedankenspielerei? Zu bedenken ist aber, dass jedes der Paralleluniversen genauso real ist wie unseres, das für den Nachdenker in den anderen Universen bloß eine unüberprüfbare Annahme bleibt.

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