Ian Kershaw: Höllensturz/Achterbahn
Es
war alles so richtig geil vor 1914. Die weiße Rasse beherrschte die
anderen, von Rassisten rassistisch betrachteten Rassen, und das alte
Europa war auf dem Höhepunkt seiner Macht. Schlafwandlerisch (aber das
war ein anderer Historiker) schlitterten die europäischen Großmächte in
einen selbstmörderischen Weltkrieg. Kein schneller Sieg, wie von beiden
Seiten erwartet. Nach wenigen Monaten waren es schon über eine Million
Tote. Und da griff die sunk cost fallacy: so viel geopfert, jetzt können
wir den Krieg erst recht nicht beenden. Der Höllensturz ist die
Historikergeschichte der Nuance, warum es nach dem ersten zu einem
zweiten Weltkrieg kam, die Achterbahn ist die Geschichte Europas von
1950 bis heute.
Es fällt auf, dass Kershaw etwas gegen die Franzosen hat. Besonders de
Gaulle scheint er nicht zu mögen. Ansonsten erkennen Ältere die eigene
Zeitgeschichte wieder, und es tut gut, über einst topaktuelle Ereignisse
aus der Historikerperspektive zu reflektieren, um festzustellen, dass
das aktuelle Rauschen über- und die langfristigen Trends unterbewertet
werden. Die gute Nachricht für Europa lautet wohl: Wir schaffen das!
Was Kershaw nicht schaffte, war, mit "Höllensturz" ein besseres Buch
über die erste Jahrhunderthälfte zu schreiben als Niall Fergusons "Krieg
der Welt". Die deutsche Paperback-Ausgabe der "Achterbahn" ist monströs
dick, obwohl das Buch keine vierstellige Seitenzahl erreicht.
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