Wolfgang Weimer: Der Homo sapiens im Alltag
Eine kurzweilige Kurzgeschichtensammlung, kurz: Hochsommerlektüre. Los geht es aber nicht mit dem Homo sapiens, sondern mit dem Homo grausamensis, der als Jungtier in Begleitung von Artgenossen ein Tier der Art Mus musculus quält. Und dann erscheint ihm die kleine Maus groß im Traum und lässt ihn großes Kino erleben: die Welt aus der Perspektive der Tiere. Teilweise geht es erzählerisch zu wie in Hallidays Urwelten; es ist die längste Kurzgeschichte im Buch, aber der Leser will hier am wenigsten, dass sie aufhört.
Dass es endlich aufhört, will der Leser bei den vielen deprimierenden Geschichten unbedingt, die nicht kurz genug sein könnten, und doch lang genug sind, um eine miese Stimmung zu hinterlassen. Zum Glück sind sie mit heiteren und unterhaltsamen Geschichten vermischt. Eine besonders harte Geschichte eines gescheiterten und zum Suizid entschlossenen Lebens mit einer überraschenden Wendung wird der Leser nicht so schnell vergessen, erst recht wenn die eigene Midlife Crisis in der Vergangenheit liegt.
Die meisten Geschichten sind semifiktiv, viele direkt aus dem Leben erzählt, was sie nicht langweilig oder banal werden lässt, weil sich die Lebensumstände des zeitgenössischen Autors und seiner noch zeitgenössischeren Leser durchaus ähneln. Ein solcher Lebensumstand ist die für Nichtautomobilisten ubiquitäre Deutsche Bahn, die für ihre Verspätungen berühmt und für ihren Service berüchtigt ist. Nur wer nie Bahn fährt, wird bei diesen Geschichten nicht schmunzeln.
Was der ich-erzählende Autor von sich selbst als Homo sapiens preisgibt, könnte borniert und rechthaberisch wirken, würde er Borniertheit und Rechthaberei nicht selbst zur Kernproblematik seiner Kurzgeschichten machen. Die Frustration darüber, dass Argumente in den üblichen Gesprächen mit Homo sapiens heutzutagensis wirkungslos sind, muss für den Autor eine prägende Lebenserfahrung gewesen sein.
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