Luis Alegre: Lob der Homosexualität

 

 

 

 

  Gestern habe ich zum ersten Mal den Buchladen Eisenherz in Berlin-Schöneberg besucht. Dort kaufte ich vier Bücher, und las eines davon gleich auf dem Weg, was sich dann tief in die Nacht fortsetzte, womit es sich nun um eines der wenigen am Stück gelesenen Bücher handelt (18:00 bis 2:50 mit Unterbrechungen). Der spanische Philosophieprofessor Luis Alegre hat ein Lob der Homosexualität verfasst, dem ich mich weitgehend anschließen möchte.

Was mir schon immer klar war, das führt Alegre als den Hauptgrund der Homophobie im heteronormativen Patriarchat und umso mehr in autoritären und totalitären Gesellschaften an: die Heterosexuellen neiden den Homosexuellen ihre Freiheit. Wenn eine Gesellschaft die Sexualität der Menschen kontrolliert, kontrolliert sie ihre Psyche. Mehr Gleichschaltung braucht es nicht, wenn die Staatsmacht oder die Kirche oder die Familie einen Schlüssel zu deiner Privatsphäre hat. Die unfreiesten Gesellschaften sind auch immer die homophobsten gewesen.

Was die Auseinandersetzung mit der ultradekadenten westlichen Gegenwart angeht, da leugnet Alegre keine einzige biologische Tatsache, und schafft es trotzdem, zu zeigen, dass die Heteronormativität ein soziales Konstrukt ist. Und die nicht normierte, sondern natürliche Heterosexualität eignet sich nicht als eine Normvorgabe, weil der Mensch kein bloßes Tier ist. Der Begriff "naturalistischer Fehlschluss" fällt zwar nicht, fällt aber dem klugen Leser sofort ein. Die soziale Konstruktion der Männlichkeit und Weiblichkeit besteht aus akzidentellen Bestimmungen, die so lange tradiert wurden, bis sie jeder als naturgegeben akzeptierte.

Nein, zum Glück nicht jeder: die Homosexuellen nicht. Und Alegre zeigt, wie die Homosexuellen Räume der Freiheit in die Gesellschaft brachten, die die starren sozialen Konstrukte binärer Sexualisierung nicht ermöglicht hätten. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit wäre ohne den Beitrag der Homosexuellen nur eine Floskel geblieben, denn wenn sich keiner traut, willkürlich festgelegte Grenzen zu überschreiten, werden sie weiter tradiert und sorgen für Unfreiheit und Frustration, aus der Aggressionen und Gewaltverbrechen entstehen.

Enttäuschend war die kritiklose Übernahme des weiblichen Opfer-Abos, so als ob die Cis-Frau nur Opfer des in Wahrheit gynozentrischen heteronormativen Patriarchats gewesen ist, und so als wäre das Patriachat nicht auch (oder vor allem) für Männer eine repressive Gesellschaftsstruktur. Da hätte der schwule Professor mehr mit lesbischen Frauen reden müssen, sie hätten ihm bestimmt die Wirkungsweise der weiblichen Gewalt erklärt. Alegre spricht über Frauen wie ein männlicher Feminist, ein Mangina SIMP, der alle weiblichen Lügen naiv glaubt und die toxisch feminine Verlogenheit nicht durchschaut.

Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen wertvollen Beitrag in der Debatte um sexuelle Identitäten und Orientierungen. Dass er als (schwuler) Mann denselben Fehler begeht, den er den heterosexuellen Männern im Patriarchat vorwirft, nämlich Frauen als agenz-lose Objekte des Beschützens in seinem Fall, und des Besitzes im Fall des heterosexuellen Machos zu betrachten, ist ein performativer Widerspruch, der dem aufmerksamen Leser nicht entgangen sein wird. Dem Lob der Homosexualität und der Ermutigung non-binärer Identitäten tut das jedoch keinen Abbruch.

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