Tristan Garcia: Das intensive Leben
Strebte der traditionelle Mensch Weisheit und Heil an, so will der elektrisierte moderne Mensch Anti-Weisheit und Unheil. Leben bedeutet, intensiv zu leben: YOLO führt zu FOMO. Durch die Jagd nach Intensität, die zu einer Art Drogensucht wird, stumpft man ab und lebt dann weniger intensiv: man wird depressiv.
Das bürgerliche Leben in der Routine will Intensität erleben, ohne
daran zugrunde zu gehen. Doch wer nicht ausbrennt, den kriegt letztlich
die Langeweile.
Die Intensität kann man prolongieren, indem man die Erlebnisse variiert (Promiskuität), steigert (immer perversere Sexpraktiken) oder immer neue erste Male erlebt. Doch der Reiz der Abwechslung, der Steigerung und des Neuen vergeht schneller als das Verlangen nach Intensität befriedigt wird.
Ist denn das Leben ein Freizeitpark? Genau dies ist die ultradekadente postmoderne Lebenseinstellung, die durch unrealistische Erwartungshaltungen das Leben zu einer Frustprobe macht. Das Was des Lebens ist auch in der Moral und Ethik dem Wie gewichen: der Wechsel vom Substanz- zum Funktionsdenken.
Ist Garcias 2017 erschienener Essay nun eine Variation der
Existenzphilosophie, eine Abwechslung in der Betrachtungsweise oder ein
weiteres erstes Mal im Philosophieren über das Leben?
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