Hans Rosling: Factfulness
Als die NATO 1999 Jugoslawien angriff, waren Kollateralschäden im Form von zivilen Toten noch grimmige Normalität. Beim Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 scheint uns jedes zivile Todesopfer als ein Skandal, und das liegt nicht allein daran, dass der russische Krieg noch weniger zu rechtfertigen ist, sondern vor allem am Umstand, dass sich die Welt in den letzten 23 Jahren verbessert hat, ohne dass wir davon Notiz bekommen haben.
Der alte Schwede beschreibt in dieser europäischen Version von "Aufklärung jetzt"
(Steven Pinker) die unbekannten Verbesserungen der letzten Jahrzehnte.
Wir sehen die Welt schlechter als sie ist. Selbst die Informiertesten
haben einen seit 30-40 Jahren überholten Wissenstand, was Armut, Hunger,
Bevölkerungswachstum und Gewalt betrifft. Die Welt ist reicher,
friedlicher und gesünder als wir denken.
Interessant sind die vier Stufen des Wohlstands, an denen Rosling die Entwicklung festmacht: von einem Dollar pro Tag (absolute Armut) gibt es vier Doppelverdopplungen zu einem Lebensstandard von 4, 16 und 64 Dollar pro Tag. Auf dieser vierten Stufe leben wir Schweden.
Als kritischem, d. h. Gegen-den-Strich-Leser fällt mir aber auf, dass
die vier Stufen so sehr an Buddenbrooks bzw. Ibn Khaldun erinnern, dass
es unheimlich wird: die erste Generation startet mit nichts und legt den
Grundstein, die zweite Generation konsolidiert, die dritte vermehrt den
Reichtum passiv und zweigt immer mehr ab für den Genuss, die vierte
verprasst nur noch.
Nach Stufe 4 kommt aber unvermeidlich Stufe 1. Wir können unsere 64 Dollar pro Tag weniger schätzen als jemand, der von Stufe 1 auf Stufe 2 aufsteigt, seine 4. Dass Rosling keine Stufe 5 kennt, spricht weitere Bände: nach der Ultradekadenz kommt der Zusammenbruch.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen