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Es werden Posts vom November, 2022 angezeigt.

Ernst Peter Fischer: Die andere Bildung

        So. was muss man als gebildeter Bürger alles wissen? Dietrich Schwanitz fasste dies im Buch "Bildung. Alles, was man wissen muß" (1999) wie nicht folgt zusammen. Worum ging es? Um Literatur, Musik, Kultur. Eine Prise Geschichte, ein paar Streusel Erdkunde, eine Idee Honig. Bildung für Bildungsbürger. Für Leute, die nicht wissen müssen, wie der Computer funktioniert, auf dem sie geisteswissenschaftliche Aufsätze für den Schrank verfassen. Da dachte sich der Fischer: Nein! Bildung geht anders. Und er schrieb zwei Jahre später (im letzten Jahrtausend nannte sich so etwas Schlagfertigkeit, heute ist ein 15 Minuten zu spät verfasster Tweet eben schon zu spät) sein alternatives Bildungs-Nachschlagewerk. Ich habe es als Kind genau andersrum erlebt: Für mich war naturwissenschaftliches Wissen Bildung schlechthin, und alles andere Waschweibergequatsche. Selbst die großen Werke der Weltliteratur ließ ich links liegen, die Ausnahme waren die Legenden und Mythen der alte...

Slavoj Žižek: Sex und das verfehlte Absolute

            Dass die ernüchterndste Ontologie der Weiblichkeit ausgerechnet von einem linksliberalen Philosophen kommt, dazu noch dem berühmtesten seiner Zeit, war nicht zu erwarten. Der Lacanisator Hegels sagt im Grunde, dass die menschliche Gattung aus nur einer Art besteht: dem Mann. Die Frau ist ein Teil vom Rest, der nicht definiert ist, genauso wie der Homo- und Transsexuelle, der Transmensch usw. Es gibt nicht zwei Geschlechter, sondern Einskommairgendwas. Die Frau ist keine Art, sondern die Gattung selbst, die sich reproduziert. Žižek sagt nicht "Die Frau ist nichts", aber "Die Frau (als Gegenpart zum Mann) gibt es nicht" . Das ist nicht so radikal wie Weiningers "Das absolute Weib hat kein Ich" (d. h. die Frau ist nichts), aber auf subversive Art noch "frauenfeindlicher" als das: Weininger meint das absolute, ontologisch reine Weib als die Null, für Žižek gibt es überhaupt keine Frau. Der Psychologiephilosoph verlässt d...

Klaus Mühlhahn: Geschichte des modernen China

        Laut Ray Dalio wird China der nächste globale Hegemon. Peter Zeihan meint, dem Reich der Mitte stehe ein beispielloser Kollaps bevor. Dalio argumentiert mit Wirtschaft, Zeihan mit Demographie. Außerdem nimmt Zeihan die üppige globale Nahrungsmittelversorgung seit Norman Borlaugs Grüner Revolution nicht für selbstverständlich: durch die aktuellen Deglobalisierungstendenzen könnten Märkte für Dünger und Getreide zusammenbrechen, und hunderte Millionen Menschen weltweit verhungern, neunstellig wäre die Zahl der Hungertoten allein in China. Mühlhahn berichtet über die letzten 400 Jahre chinesischer Geschichte mit dem Fokus auf das China der Gegenwart. Das Buch ist im Grunde ein Must-Read für Nichtchinesen, und es wäre ein No-Go, dieses Buch zu übergehen, selbst für einen Leser, dem die Kulturgeschichte Chinas durchaus nicht unbekannt ist.

Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken

          "Es war, als hätt der Negan / Die Maggie still geküsst..." erinnert sich jeder an das Gedicht von Eichendorff. Doch dann sagt es sich: "Moment!" Und dieser Moment wird dringend gebraucht, denn erst nach einem Moment des Nachdenkens begreift man, dass Eichendorff noch gar nicht die Serie "The Walking Dead" kennen konnte. Doch der Schnellschuss der Intuition war zuerst. Das intuitive System 1 wird sich nun immer an die Parodie erinnern. Das faule, weil nachdenken müssende, System 2 wird den Fehler jedesmal neu korrigieren müssen. Die Intuition sagt uns "Tiger!" und muss schnell sein, sonst frisst uns einer. Auch wenn in 9 von 10 Fällen es die tigrig guckende Nachbarin sein wird, hat das intuitive System 1 evolutionär gesehen recht. Besser ist es, bei 9 von 10 Begegnungen die Nachbarin für einen Tiger zu halten, als einmal umgekehrt. Nun aber läuft auch in gefahrloser Umgebung das schnelle und nicht nachdenkende System...

Niall Ferguson: Doom

          Ach, diese Katastrophen! Politisches Versagen und Scheitern der Politik; politische Probleme und militärische Lösungen, ach, alles wie immer. Dass Wieimmersein von allem belegt Ferguson faktenreich und auf breiter Front. Was lief wo schief bei Kriegsausbrüchen, technogenen Katastrophen und Pandemien? Ach ja, Pandemien. Das Buch des Starhistorikers ist das erste ernstzunehmende Buch zur Corona-Pandemie. Eine unaufgeregte und differenzierte Betrachtung. Und so quellenreich belegt wie ein XXL-Brötchen mit schmelzenden Klimawandelgletschern. Für Feinde der Trivialliteratur und Freunde von richtigen Büchern durchaus zu empfehlen.

A. G. Dugin: Noomachie. Lateinischer Logos.

          Lateinischer Logos: Die Sonne und das Kreuz. Es geht um Italien, Spanien und Portugal als kulturelle Nachfolger des antiken Latiums. Rom wurde vom Imperium Romanum wieder zum Stadtstaat, blieb aber Zentrum der Welt: Konstantinopel, die Hauptstadt des christlichen Fortsetzungsimperiums, konnte sich als Welthauptstadt der Christenheit gegen Rom nicht durchsetzen. Der Rest Italiens machte eine interessante Kulturgeschichte durch, war aber politisch nunmehr von äußeren Mächten abhängig. Die Wiedervereinigung im 19. Jahrhundert änderte das nicht wirklich. Spanien übernahm im 8. Jahrhundert das Schwert der Christenheit im ewigen heiligen Krieg gegen die Nichtchristen. Ende des 15. Jahrhunderts ging es aus der Reconquista siegreich hervor und begründete ein mittelalterliches Weltreich, als bei der geopolitischen Konkurrenz schon die Neuzeit losbrach. Ihre schrecklichen Kinder besiegten das solare Spanien und begründeten ein Weltreich der T...