Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
Weber, Max: Die protestantische Ethik und der "Geist" des Kapitalismus. Bodenheim: Athenäum/Hain/Hanstein, 1993.
Max Webers Werk „Die protestantische
Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus“ befasst sich mit möglichen
religiösen Ursachen für die Entstehung des Kapitalismus. Das Buch
erscheint erstmals am Anfang des 20. Jahrhunderts; die
geistig-religiösen Phänomene, die es behandelt, liegen also 200-400
Jahre zurück. Max Weber weist mehrfach darauf hin, dass die religiöse
Einstellung der betreffenden Religionsgemeinschaften zu Anfangszeiten
des Kapitalismus in Europa heute (also 1904/05, wobei 100 Jahre danach,
am Anfang des 21. Jahrhunderts, erst recht) nicht mehr nachzuvollziehen
ist, da das religiöse Paradigma, in dem das Seelenheil an allererster
Stelle stand, nicht mehr gilt.
Das Buch ist schwer lesbar und etwas zu
detailversessen, aber es handelt sich um ein monolithisches Werk,
welches um einen Gedanken aufgebaut wird. Dieser Gedanke ist, dass der
„Geist“ des Kapitalismus aus chrsistlicher Askese entstanden sei, einer
Askese, die sich seit der Reformation nicht mehr von der Welt abwendet,
sondern innerweltlich ausgelebt wird. Weber untersucht die verschiedenen
infolge der Reformation neu entstandenen Konfessionen, wobei er sein
Hauptaugenmerk auf die Rolle des Berufs in jeder dieser Konfessionen
legt. Er wehrt sich gegen eine mögliche Unterstellung einer monokausalen
Begründung für das Entstehen des Kapitalismus (die er z.B. in Marxens
Geschichtsmaterialismus sieht): „Aber andererseits soll ganz und gar
nicht eine so töricht doktrinäre These verfochten werden wie etwa die:
dass der „kapitalistische Geist“ (immer in dem provisorisch hier
verwendeten Sinn dieses Wortes) oder wohl gar: der Kapitalismus
überhaupt, nur als Ausfluss bestimmter Einflüsse der Reformation habe
enstehen können. Schon dass gewisse wichtige Formen kapitalistischen
Geschäftsbetriebs erheblich älter sind als die Reformation, stände einer
solchen These im Wege. Sondern es soll nur festgestellt werden, ob und
wieweit hier tatsächlich religiöse Einflüsse bei der qualitativen
Prägung und quantitativen Expansion jenes „Geistes“ über die Welt
mitbeteiligt gewesen sind und welche konkreten Seiten der
kapitalistischen Kultur auf sie zurückgehen“1.
Eine so starke Relativierung ist wiederum problematisch: wenn man
annimmt, der „Geist“ des Kapitalismus hätte genausogut auch aus anderen
spirituellen Einflüssen entstehen können, als dem der Reformation und
hierin insbesondere des Calvinismus, wird die spiritualistische
Betrachtungsweise als solche völlig ausgehebelt. Wenn Religion überhaupt
etwas mit der Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus zu tun haben
soll, dann muss es bestimmte Formen von Religion geben, die seine
Entwicklung besonders begünstigen, aber auch solche Formen von Religion,
deren spirituelle Wirkung die Entwicklung des „Geistes“ des
Kapitalismus wenn nicht völlig ausschließen, so zumindest entscheidend
abbremsen.
Weber findet die für die Entwicklung des kapitalistischen Gedankenguts besonders günstige Religion im Calvinismus. Dabei spielt die Reformation als solche zunächst die entscheidende Rolle. Die Reformation bringt einen gewaltigen Individualisierungsschub in die abendländische Geistesgeschichte, welcher auf dem geistig-kulturellen Wege wirkt, - hier zeigt sich die spiritualistische Betrachtungsweise Webers als besonders ertragreich, da sie etwas erfasst, was dem historischen Materialismus nicht zugänglich ist – eine spontane, weil durch keine eindeutige Änderung der objektiven Verhältnisse (des Seins), Änderung des Bewusstseins. Der Individualisierungschub infolge der Reformation hat also religionsimmanente Ursachen, und zwar in der Entbindung des persönlichen Glaubens von kirchlichen Institutionen: Jeder Mensch steht als Individuum allein vor Gott und sein Seelenheil ist etwas Privates uind Persönliches, was weder die Kirche noch den sich in der frühen Neuzeit etablierenden Staat (Machiavelli, Bodin: Staatssouveränität)2 etwas angeht. Der Mensch ist infolge der Reformation so deutlich wie nie in der Geistesgeschichte ein Individuum, ein Privatmann, der indifferent zu Staat und Kirche steht, und dessen eigentlicher Lebensinhalt sich in seine persönliche Innenwelt verschiebt, in die Beziehung zu Gott. Die Formen der individuellen Beziehung zu Gott können vielfältig sein, entscheidend ist aber, dass alle religiösen Strömungen, die in der Reformation ihren Anfang nehmen, eine direkte und unmittelbare Beziehung des Einzelnen zu Gott einfordern.
Der
lutheranische Protestantismus entwickelt sich traditionalistisch in
Bezug auf das Ökonomische: Die Arbeitsauffassung, die seit dem Altertum
gilt, und die auch Luther beibehält, ist die Auffassung der
Erwerbsarbeit als einer Tätigkeit zum Zweck der Befriedigung der
Grundbedürfnisse. Weber bezeichnet Luthers reformatorische Intentionen
als keineswegs fortschrittlich, sondern vielmehr als reaktionär gegnüber
der mittelalterlichen Verweltlichung des Katholizismus. Als Indiz für
eine Verweltllichung des Katholizismus ist z.B. der Ablasshandel zu
sehen, bei dem der Einzelne die Verantwortung für sein Seelenheil an die
Institution Kirche delegiert. Die Askese des Mönchtums gilt Luther als
eine Art von „Werkheiligkeit“, also ein falscher Weg zum Seelenheil.
Statt der Weltflucht wird die innerweltliche Askese infolge der
Reformation etabliert, welche bei Luther nicht so in die Erwerbsarbeit
einfließt, wie bei Calvin.
Die
Besonderheit der Berufsauffassung als Berufung, als von Gott auferlegte
Aufgabe, im Calvinismus und den von ihm stark beeinflussten Strömungen
wie Baptismus und Methodismus trägt, so Weber, zur Entwicklung des
„Geistes“ des Kapitalismus in Nordwesteuropa und Nordamerika
entscheidend bei. Der Calvinismus geht von einer Gnadenwahl Gottes aus,
die besagt, dass Gott von Anfang an einige Menschen zum Heil auserwählt
und alle anderen zur Verdammnis verurteilt habe. Da die Auserwählten ein
intensives Gefühl des Auserwähltseins verspüren müssen, stellt sich die
Frage, wie ein solches Gefühl der Heilsgewissheit entstehen kann. Es
bleibt nur die einzige Möglichkeit, sich seines Auserwähltseins zu
vergewissern – das aktive Handeln in der Welt (die mönchische Askese ist
ein falscher Weg der „Werkheiligkeit“), welches sich infolge der
Privatisierung der Religion und damit des Weges zum Seelenheil auf den
privaten Lebensbereich konzentrieren muss. Dieses private Handeln ist
die Erwerbsarbeit, an deren Erfolg, welcher sich in der Anhäufung von
Reichtum niederschlägt, der Status des von Gott Auserwählten gemessen
werden kann. So ist die Anhäufung von Reichtum, also von Kapital, ein
Selbstzweck. Da Arbeit für das Leben konstitutiv ist und es gilt, das
Reichtum zu mehren, wird das erworbene Kapital immer wieder in die
Erwerbsarbeit reinvestiert, was die Entwicklung der kapitalistischen
Produktionsform fördert und einen Rückfall in eine traditionalistische
Ökonomie verhindert. Dies ist der Motor der Entwicklung des
Kapitalismus, der insbesondere in der Anfangszeit des Kapitalismus von
religiösen Motiven angetrieben wird, die vor Allem in Nordwesteuropa der
frühen Neuzeit Menschen mit dem Beruf als konstitutiven Lebensinhalt
rekrutieren.
Weber problematisiert die Entstehung eines „Geistes“ des Kapitalismus am Anfang des Buchs und führt Fakten auf, die eine deutliche Übereinstimmung zwischen dem hohen ökonomischen Entwicklungsstand von Ländern am Anfang des 20. Jahrhunderts und der Wirkung des Calvinismus und der durch ihn beeinflussten Strömungen wie Baptismus und Methodismus aufzeigen: England (und somit auch die ehemaligen englischen Kolonien in Nordamerika), die Niederlande und in Deutschland der protestantische Norden sind ökonomisch besonders erfolgreich. Auch in Berufsstatistik zeigen sich konfessionelle Unterschiede: Unternehmer und höhere Berufsqualifizierte sind meist Protestanten, und obwohl Katholiken beim Zugang zur Bildung keineswegs benachteiligt sind, wird dieser von Protestanten intensiver genutzt3. So konstatiert Weber: „Der Grund des verschiedenen Verhaltens muss also der Hauptsache nach doch in der inneren Eigenart, nicht in der äußeren historisch-politischen Lage der Konfessionen gesucht werden“4. Die „innere Eigenart“ ist ein Wesen spiritueller Natur, also ein Bewusstsein. Das durch die Reformation und insbesondere durch den Calvinismus entstandene neue Bewusstsein hat das Sein entscheidend beeinflusst, indem es in der Neuzeit den Motor des Kapitalismus antrieb – dies könnte man als die Hauptthese Webers auffassen. Obwohl Weber sich gegen eine monokausale Interpretation seines Werks wehrt, kann er dessen spiritualistischen Zugang zum Problem eigentlich nicht relativieren, indem er sagt: „...so kann es dennoch natürlich nicht die Absicht sein, an Stelle einer einseitig „materialistischn“ eine ebenso einseitig spiritualistische kausale Kultur- und Geschichtsdeutug zu setzen. Beide sind gleich möglich...“5 , denn dies würde der Annahme widersprechen, dass eine Religion oder irgendeine andere Form von Bewusstsein ursächlich für eine Änderung der materiellen Verhältnisse sein könne. Webers Zugang zum Problem ist zwar nicht monokausal-spiritualistisch, aber dennoch notwendigerweise spiritualistsch - als Gegensatz zu einer materialistischen Auffassung, die er anfangs verwirft: „Auf die Vorstellung des naiven Geschichtsmaterialismus, dass derartige „Ideen“ als „Widerspiegelung“ oder „Überbau“ ökonomischer Situationen ins Leben treten...“6. Das Objekt der Betrachtung, der „Geist“ des Kapitalismus, ist zudem nichts materiell Fassbares; der „inneren Eigenart“ protestantischer Konfessionen kann keine materialistische Deutung gerecht werden, da sich diese in denselben ökonomischen Verhältnissen mit der katholischen Konfession entwickelten. Das Zustandekommen der Reformation überhaupt kann auch materialistisch (durch die Folgen der Krise der mittelalterlichen Weltordnung des 14. Jahrhundert) erklärt werden. Die unterschiedlichen Entwicklungswege der Länder der christlich-abendländischen Zivilisation mit verschiedenen infolge der Reformation neu entstandenen Konfessionen (einige Länder entwickelten sich kapitalistisch, andere blieben zunächst bei einer traditionalistischen Ökonomie) zeigen aber, dass das Aufkommen des Kapitalismus als herrschende Wirtschaftsform keineswegs eine historische Notwendigkeit gewesen ist.
1S. 50f.
2Der Staat spielt insbesondere im Kapitalismus der Moderne (Imperialismus) eine tragende Rolle. Für Webers Betrachtungen ist die Rolle des Staates aber zu vernachlässigen, da es sich hier um die frühe Neuzeit handelt, in der der Kapitalismus zunächst privat und noch nicht politisch war.
3Tabelle auf S. 4.
4S. 5.
5S. 155.
6S. 17.
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