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Es werden Posts vom August, 2021 angezeigt.

Lew Gumiljow: Ethnogenese und die Biosphäre der Erde

         Opus Magnum des großen russischen Geschichtsphilosophen des 20. Jahrhunderts. Durch (im historischen Materialismus nicht anders erlaubt) ausschließlich physikalische Ursachen geraten Menschenmassen in Bewegung, formen neue Ethinen, und jeder neue Ethnos leistet seinen Beitrag zur Weltgeschichte. Wie bei Spengler ist ein Ethnos, ein Volk, wie ein lebender Organismus mit Geburt, Höhezeit und Tod. Die Geburtsphase eines Volkes ist historisch selten nachvollziehbar, weil nicht dokumientiert. Dann kommt der schnelle Aufstieg, befeuert durch Passionarier (Individuen mit hohem für den Willen verfügbaren Energieüberschuss (freie Energie)). Die Passionarier bekämpfen sich in der Bürgerkriegsphase, die beruhigte Inertionsphase ist das Zeitalter hoher Kultur und später Zivilisation (Dekadenz und Ultradekadenz). Und dafür so lange forschen? Das ist doch intuitives Allgemeinwissen! Interessant ist Gumiljows moralische Metaphysik. Als gut betrachtet e...

David Christian: Big History

        Was ist Big History ? Das ist die historische, nicht logisch-ontologische Untersuchung von Etwas (1), Leben (2) und Bewusstsein (3) . Der Urknall (1) ist die historische Antwort auf die Frage, warum (besser: wie-so) etwas und nicht nichts ist. Wie das Leben (2) aus lebloser Materie entsteht, will die Erdgeschichte erklären. Wie das Leben seiner selbst bewusst, sprich menschlich wird (3), mit dem Ergebnis, das als Weltgeschichte bekannt ist, zeigt die Geschichte des Lebens. All das zusammen ist Big History , und das gleichnamige Buch ist eine Zusammenfassung der Fortschritte dieser interdisziplinären Disziplin aus der Hand ihres Gründers. Das, wofür Yuval Harari heute gefeiert wird, dachte sich David Christian vor ein paar Jahrzehnten aus. Wer die Weltgeschichte noch nie im Paradigma der Big History betrachtet hat, den lädt dieses Buch dazu ein. Wem das Paradigma geläufig ist, erfährt eine wiederholende Zusammenfassung des Wesentlichen.  

Thilo Sarrazin: Der Staat an seinen Grenzen

        Der Schreibstil verrät, dass der Hobbygenetiker und Finanzprofi auf Umwegen zum Nebenjob des Buchautors gekommen ist; er schreibt nicht viel besser als er sich in Talkshows ausdrückt. Ein zum Quatschen und Geschichtenerzählen zu intelligenter Mann. Erstaunlich ist immer wieder, wie schlecht informiert seine Kritiker sind, gerade im Vergleich zum vielkritisierten stolzen Sozialdemokraten Thilo Sarrazin. Er recherchiert, liest mögliche Einwände, noch bevor er seine Argumente im Buch unterbringt, informiert sich genau, nimmt Trendänderungen zur Kenntnis. Ein Meister des aktuellen Sachbuchs, der nur insofern kontrovers schreibt, wie die Themen selbst mit ihren Dilemmata Raum für Kontroversen schaffen. Wieder ein Buch von ihm, das diskutierbar und mit guten Argumenten auch kritisierbar ist; das einzige, was man darüber nicht sagen kann, ist, dass es nicht hilfreich sei.

Dick Swaab: Wir sind unser Gehirn

        Der niederländische Hirnforscher, den man anscheinend durchaus kennen sollte, lädt zu einem kurzweiligen Ausflug in die Tulpenwiese der neuesten Erkenntnisse seiner Disziplin. Mit viel Humor teilt er aus gegen Kreationisten und Gender-Gaga, gegen laxe Drogenpolitik und unwürdigen Umgang mit Tod und Sterbehilfe. Besonders ergreifend ist in seiner Traurigkeit das Kapitel über Demenz. Am Anfang verliert man das Gedächtnis, am Ende liegt man zusammengekrümmt in der Embryonalstellung und ist nur noch vegetativ lebensfähig. Sexualität und Geisteskrankheit, Gedächtnis und Glaube, Depression und Fettsucht: alles hat seine Ursachen im Gehirn und kommt, nur Geduld, früher oder später zur Sprache. Ein ideales Buch für Neurolaien, um das Thema aufzufrischen.