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Es werden Posts vom März, 2023 angezeigt.

José Cordeiro, David Wood: Der Sieg über den Tod

          Das Buch handelt von der "wissenschaftlichen Möglichkeit, ewig zu leben" und ihrer "moralischen Rechtfertigung". Zum technischen Teil gibt es unter Laien nichts zu bereden. Kommen wir zur moralischen Rechtfertigung. Die Forscher weisen nach, dass Lebensverlängerung bis zur theoretischen Unsterblichkeit prinzipiell möglich ist. Bei der exponentiellen Entwicklung der Biotechnologie könnte schon die nächste Generation biologisch unsterblich werden. Daraus ergeben sich ethische, moralische und sozialpolitische Konsequenzen. Sozialpolitisch, gesellschaftlich, versicherungstechnisch würde der Wert eines theoretisch ewigen Lebens ins Unermessliche steigen. Da nicht mehr viele sterben werden, wird der seit Jahrzehnten andauernde Fortpflanzungsstreik kein Thema mehr. Da die Menschen nicht mehr an hohem Alter sterben werden, werden sie an Unfällen, Unglücken, Morden und Kriegen sterben, selbst wenn auch diese Todesursachen minimiert w...

Johan Huizinga: In de schaduwen van morgen

          In seinem Werk aus der Mitte der 1930-er analysiert der niederländische Kulturphilosoph die spät-dekadente westliche Gesellschaft haarscharf: wenn Spengler im "Untergang des Abendlandes" die Axt anlegte, dann hantiert Huizinga mit einem Rasiermesser. Seine Kritik an der Verblödung lässt an das Smartphone-Zeitalter denken; die Kritik der (post)modernen Bildung, die Idioten produziert, könnte auch von 2023 sein. Wenn der Leser für eine Sekunde, für eine Minute, für eine halbe Minute vergisst, über welche Zeit Huizinga schreibt, dann ist es immer wieder ein cooler Schock, festzustellen: "Oh, das war ja schon vor 85 Jahren!" Der Infantilisierung nach 1968 ging der von Huizinga so genannte Puerilismus voraus: damit meinte er, dass sich Erwachsene immer mehr wie Teenager verhalten, und damit meinte ausdrücklich all die, die damals allüberall an der Macht waren. Die Kindereien der 1930-er führten zu einem Ereignis mit 55 Millionen Toten, d...

Dichtungen des Michelangelo

          Die Gedichte des legendären Michelangelo, der gerade als Dichter eher weniger legendär ist, wurden von Rilke übersetzt bzw. mit großem Respekt übertragen, d. h. so, dass in den Übersetzungen möglichst viel Michelangelo war und möglichst wenig Rilke. Dem Dichter der Renaissance geht es vor allem um die Verführungen der Liebe, die romantische Liebe fließt in die erotische über, sodass aus Liebe Verführung und Sünde wird. Auch als alter Mann dichtete Michelangelo Liebessonette, war schönen Frauen noch im gebrechlichen Alter zugeneigt, und litt, wie einst Demokrit, daran, zu alt für das erotische Vergnügen geworden zu sein. Die Liebe und der Tod: das sind die großen Themen der Gedichte von Michelangelo. Obwohl eher nicht für Lyrik bekannt, kann nicht gesagt werden, seine Lyrik sei zweitklassig. Bei Michelangelo handelt es sich eher um ein Universalgenie mit vielen Talenten und einem genialen Charakter, der diese vereinte.

Giacomo Leopardi: Lyrik

          Jahrelang kannte ich von Leopardi nur diesen weisen Spruch: " Auch hierin gleicht die Welt den Weibern: mit Scham und Zurückhaltung erreicht man bei ihr nichts ". Das reichte, um den Namen des Dichters im Gedächtnis zu behalten und irgendwann auch Zeit zu finden, seine Lyrik zu lesen. Und die ist ziemlich gut. Noch eins, weil es so schön ist: " Der Betrug ist die Seele des sozialen Leben s". Das könnte ich selbst mit 18 geschrieben haben. Und auch in der Lyrik treffe ich einen Bruder im Geiste: reine, idealistische Liebesromantik, keine Unzucht- und sonstige Sexuallyrik. In seiner Liebeslyrik besingt Leopardi das Ideal der Weiblichkeit, das sich ihm durch Begegnungen mit schönen Frauen offenbarte. Er sah durch den Schleier der Sexualität in das Wesen der Liebe, in ihre Tragik und Abgründigkeit, als wüsste er, dass "Wer die Schönheit angeschaut mit Augen..." Evolas Revolte gegen die moderne Welt wurde schon bei Leopardi vorg...

Herodot: Historien

          Ich konnte nicht aufhören zu lachen. Wer nicht bloß Geschichten, sondern Geschichte so erzählen kann, heißt nicht umsonst der Vater der Geschichtsschreibung. Fast alles war mir aus sekundärliteratürlichen Bezügen längst bekannt, aber es so zu lesen, wie Herodot es erzählt hat, war dennoch eine große Freude. Auf der einen Seite wilde Riten und fremde Kulturen und auf der anderen Seite das Perserreich. Es ging dem Griechen vor allem um die Perser, und wie es dem Krösus, den Ägyptern oder den Skythen mit den Persern erging. Bekanntes kurzweilig zu erzählen, hat in den letzten Jahrhunderten nur ein gewisser Yuval Noah Harari geschafft.

Adam Grant: Think Again

          Nicht bloß "Denkt nach!", sondern "Denkt nochmal nach!" lautet Adam Grants Aufruf. Es ist keine Schande, seine Meinung zu ändern, denn das bedeutet nichts anderes, als dazugelernt zu haben. Natürlich sollte die Meinung nicht wie eine Fahne im Wind sein – oder doch? Kommt darauf an. Über viele Dinge wissen wir gar nichts. Das zeigt Grant an wunderbaren Verarschungsbeispielen auf. Wir haben vermeintliches Wissen, das wir für selbstverständlich halten, das wir nicht überprüfen, und das sich schon bei erster, oberflächlicher Überprüfung als falsch erweisen würde. Die Meinung zu Tierfabriken oder zur Todesstrafe hängt mehr mit moralischen Werten zusammen als mit dem Sachwissen. Hier sollte die Meinung durchaus Teil der persönlichen Identität sein – aber eben nur in moralischen Fragen und nirgendwo sonst! Es ist dumm, "aus Prinzip", d. h. aus falschem Stolz an einer falschen Meinung festzuhalten, nachdem sie durch besseres Wiss...