A. G. Dugin: Noomachie. Semiten.
Was ist das Besondere am Judentum? Das Besondere. Das holistische Paradigma der Antike entspricht in der Logik dem Allgemeinen. Das kreationistisch-soteriologische Paradigma der dualistischen Offenbarungsreligionen (die Grunddualität besteht zwischen Gott und der Welt, zwischen der Transzendenz und der Immanenz) steht für das Besondere, und das analytisch-wissenschaftliche Paradigma der Neuzeit entspricht dem Einzelnen (nach der nominalistischen Wende gilt das Individuum bzw. das Einzelding als das einzg Reale).
Das Besondere ist einerseits ein
Einziges, aber andererseits kein Einzelnes. Der Gott der Juden ist ein
Einziger, aber kein Einzelner: im holistischen Paradigma der Antike
entspricht Jahwe dem Titanen Kronos. Der Jude definiert sich nicht als
ein einzelnes Individuum, das das Judentum praktiziert, sondern als ein
Angehöriger eines Volkes, das den einzigen, und somit seinen besonderen,
Gott verehrt.
Die älteste historisch gesichterte
Revolution des Besonderen ist der Monotheismus Echnatons in Ägypten. Das
damals noch junge jüdische Volk könnte seinen Monotheismus durchaus vom
kulturellen Giganten der Antike übernommen haben: in den Jahrhunderten
vor dem Kollaps der Bronzezeit war der klassische Orient, der heutige
Nahe Osten, eine durchaus vernetzte Welt. Der Ur-Ursprung der Juden soll
auch nicht in Israel, sondern im Mesopotamien liegen. Das alte
Mesopotamien, die Juden und die Araber: so teilt Dugin, zivilisatorisch
und historisch, die Welt der Semiten ein.
Als es noch mehr Besondere gab, mussten die Juden ihre Besonderheit verteidigen: Staatswesen und Religion wurden institutionalisiert, es gab ein Jüdisches Reich, das aber schon bald von mächtigeren Nachbarn erobert wurde. Im persischen Exil konnten die jüdischen Geistlichen nicht vom Zoroastrismus nicht beeinflusst werden, was entscheidend für den Charakter des später entstandenen Christentums war. Es gab in der Zeit von Alexander bis Konstantin einen Boom der Religionen des Besonderen. Das Christentum setzte sich schließlich durch, später entstand noch der Islam: als eine Religion des Besonderen mit noch totalerem Allgemeinheitsanspruch als schon im Christentum.
Das Judentum blieb etwas Besonderes. Da es im christlichen Abendland, das an einen besonderen Gott mit Allgemeinheitsanspruch glaubte, in die Position des Einzelnen, und damit in die Kontingenz gedrängt wurde, kam es mit der nominalistischen Wende besser zurecht als das Christentum, das seit dem Beginn der Neuzeit Rückzugskämpfe gegen das indivdualistische Paradigma der Moderne führt. Die Kontingenz des Daseins, die Geworfenheit, die Ungewissheit: für die Christen war das eine schockierende Folge der Kränkungen, für die Juden längst lebensweltliche Realität. Die Juden waren gezwungen, lange vor der Moderne in der gottverlassenen und sinnoffenen Moderne zu leben.
Noologisch gehören semitische Völker dem Reich der Großen Mutter an. Das Demetrische bzw. Kybelische erweist sich an ihrem Beispiel als durchaus komplex und vielschichtig, und war zivilisatorisch nicht weniger einflussreich als das Apollinische oder Dionysische. Dass nicht der dionysische Nomade Abel, sondern der tellurische Ackerbauer Kain der mythische Stammvater der Menschheit ist, hat somit eine tiefe noologische Bedeutung. Der Titan Kronos beschnitt seinen Vater Uranos (da er identisch mit Jahwe ist, gehört die Beschneidung untrennbar zur jüdischen Identität) und verschlang seine Kinder. Welche Konsequenzen dies für das jüdische Gottesbild hat, wird im Buch Hiob deutlich: Gott ist als ein Besonderer gegenüber dem Menschen allmächtig, weil dieser sterblich ist. Gott gibt mit seiner Schöpfung an wie ein Neureicher mit einem Lamborghini, weil er weiß, dass er nur ein Gott ist, und dass sein Reich kontingent und vergänglich ist.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen