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Es werden Posts vom Oktober, 2021 angezeigt.

Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung

        2006 gekauft im Zustand tiefer Depression mit 23 und in der Absicht, das Hauptwerk des philosophischen Weltverneiners zu meiner Bibel zu machen. Die Depression klaute aber so viel Leseenergie, dass es zum Lesen des dicken Wälzers erstmal nicht kam, und am 18.10.2007 war Schopenhauer durch Kants Vorlage und Hegels Tor erledigt. Als Hegelianer bin ich über Schopenhauer hinausgegangen, ohne ihn (außer in Auszügen) zu lesen. Oktober 2021, jetzt lese ich "Die Welt als Wille und Vorstellung", weil warum nicht. Die ersten drei Bücher sind eine literarisch schöne aber philosophisch sinnlos in die Länge gezogene Hinführung zum vierten Buch, in dem es darum geht, was Schopenhauer der Welt eigentlich sagen will. Das Leben ist Leiden, weil es ein blinder unersättlicher Wille ist, der sich an Begierden haftet, und sobald sie befriedigt sind, immer neue findet. Die kurzen Momente vermeintlicher Zufriedenheit füllen sich schnell mit Langeweile. Darum ist das ...

Frank Bösch: Zeitenwende 1979

        Ingolf Ahlers, Professor an der Universität Hannover, und physiognomisch eine äußerst gelungene Mischung aus Al Pacino und Volker Finke, predigte schon 2005 in den Politik-Seminaren, dass nicht 1968 oder 1989, sondern 1979 das Jahr der Zeitenwende war. Insbesondere mit der islamischen Revolution im Iran entstand die multipolare Welt, in der wir heute leben, und die der militärisch-industrielle Komplex der USA nach dem Schema "Problem-Reaktion-Lösung" als vermeintliche Antwort auf 9/11 in eine unipolare verwandeln wollte. Bösch nimmt das Jahr 1979 gründlich unter die Lupe und zeigt, dass in diesem einen Jahr mehr wurzelt als uns heute bewusst ist. Der Neoliberalismus, die ökologische Bewegung, die Flüchtlingskrise und die Holocaust-Aufarbeitung begannen im Grunde 1979. Heute hat der Neoliberalismus längst im Scheitern die Nachfolge des Kommunismus angetreten, die Umweltbewegung ist so wichtig wie noch nie, die ewige Debatte über die Migration w...

Ian Kershaw: Höllensturz/Achterbahn

        Es war alles so richtig geil vor 1914. Die weiße Rasse beherrschte die anderen, von Rassisten rassistisch betrachteten Rassen, und das alte Europa war auf dem Höhepunkt seiner Macht. Schlafwandlerisch (aber das war ein anderer Historiker) schlitterten die europäischen Großmächte in einen selbstmörderischen Weltkrieg. Kein schneller Sieg, wie von beiden Seiten erwartet. Nach wenigen Monaten waren es schon über eine Million Tote. Und da griff die sunk cost fallacy: so viel geopfert, jetzt können wir den Krieg erst recht nicht beenden. Der Höllensturz ist die Historikergeschichte der Nuance, warum es nach dem ersten zu einem zweiten Weltkrieg kam, die Achterbahn ist die Geschichte Europas von 1950 bis heute. Es fällt auf, dass Kershaw etwas gegen die Franzosen hat. Besonders de Gaulle scheint er nicht zu mögen. Ansonsten erkennen Ältere die eigene Zeitgeschichte wieder, und es tut gut, über einst topaktuelle Ereignisse aus der Historikerperspekti...

Thomas Erikson: Alles Idioten!?

        Alle Menschen sind Idioten. Das wussten eigentlich alle eigentlich immer. Und jetzt hat es ein alter Schwede auch noch bewiesen. Doch nicht ganz darum geht es in diesem Buch. Erikson unterteilt die Menschen nach Temperamenten in vier Farbkategorien: sachorientiert sind die heißen Roten und die coolen Blauen, menschenorientiert sind die zuhörerischen Grünen und die nervigen Gelben. Die Blauen sind Langweiler, die Roten sind Tyrannen, die Gelben sind Narzissten, die Grünen sind pseudogutherzig-manipulative Dulder von emotionalem, narzisstischen und sexuellen Missbrauch anderer (!) für den Zweck der Harmonie zum Wohl der Familie. Nein, es ist natürlich anders. Die Blauen sind intelligente und ruhige Problemlöser, die Roten sind entschlossene und effiziente Anführer, die Gelben sind begeisternde Motivatoren, die Grünen sind empathische und selbstlose Mitmenschen. Und im Endeffekt: Alles Idioten!? Alter Schwede!